Zeitreisen und Zwischenbilanzen

Nach meinem dritten Besuch in Nordirland am 13. Januar 2018, begreife ich immer mehr, wie stark und gewalttätig die Konflikte zwischen katholischem und evangelischem Glauben, zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland, waren und teilweise auch noch sind.
Dieses Mal führte unser Trip in die zweitgrößte Stadt Nordirlands Derry. Eine Stadt, die noch heute durch eine Mauer geteilt ist ("The Walled City", zu deutsch, "Die von Mauern umgebene Stadt"), und in der ich die Vergangenheit und Gegenwart der Konflikte noch mehr gespürt habe als in Belfast.


 Die Guildhall in Derry ist so etwas Ähnliches wie das Rathaus und wird heute noch für offizielle Empfänge, etc. aber auch als Ausstellungsraum genutzt. Im zweiten Stock habe ich dieses Prachtstück entdeckt (siehe 2. Bild).


Derry hat in Bezug auf konfessionelle Spannungen und Gewalt eine lange Geschichte. Am bekanntesten ist die Stadt für die "Besetzung von Derry" 1689, bei der die evangelische Stadt 105 Tage gegen katholische Streitkräfte (katholische Truppen King James II) standhielt, bevor Derry von der Besetzung befreit wurde, und den "Bloody Sunday", bei dem am 30. Januar 1972, 28 unbewaffnete Zivilisten während einer friedlichen Demonstration von britischen Soldaten erschossen wurden.

Die Mauer auf der es durch und um die Stadt geht.

Die "Bogside" (frei übersetzt Schlammseite) ist der katholische Part der Stadt.

Die Peacebridge (Friedensbrücke) wurde zum Zeichen der einvernehmlichen Verbindung und des Friedens zwischen Katholiken und Protestanten errichtet, der heute hier herrscht.


All dies erfuhren wir von unserem Stadtführer, während wir die Mauer entlangliefen und die verschiedenen Teile der Stadt von oben und aus der Ferne besichtigen konnten. Auf der anderen Seite ist Derry aber nicht nur historisch, sondern auch in vielen anderen Kategorien, mehr als sehenswert. Neben einigen Museen, von denen ich zwei besucht habe, gibt es zahlreiche Möglichkeiten den Kleiderschrank im riesigen Shoppingcenter aufzufüllen oder seinen Hunger in einem der kleinen Cafés zu stillen. Ich für meinen Teil habe einiges aus dieser Stadt mitgenommen und hatte einige Momente in denen ich, ob nun im kulturellen oder kulinarischem Sinne, einfach nur überrascht oder erstaunt war.

Neben meinem Besuch in Derry gibt es aber heute noch ein anderes Thema, über dass ich schreiben möchte. Ich habe 2/3 meiner Zeit hier in Irland überschritten. Von nun an geht es stetig auf das Ende meiner Erfahrung in einem fremden Land zu und damit ist es vielleicht die richtige Zeit eine kurze Bilanz zu ziehen.

Es gibt einige große und kleine Unterschiede zwischen irischem Leben und deutschem Leben. Was mir am meisten aufgefallen ist, und mit dem ich mich auch am schwersten anfreunden kann, ist sehr klischeehaft die nicht vorhanden Pünktlichkeit und Organisation, die man uns Deutschen ja so nachsagt. Tatsächlich ist es aber so, dass, wenn die Unterrichtsstunde 11.45 Uhr weiter geht und die erste Klingel sogar zwei Minuten vor Pausenende zum "Sich-in-den-Unterricht-begeben" aufruft, der Unterricht trotzdem erst um 11.53 Uhr los geht. Das mag vielleicht daran liegen, dass die Schüler hier zum Lehrerklassenzimmer laufen müssen und nicht der Lehrer zu den Schülern, aber selbst die Lehrer kommen manchmal erst fünf Minuten später aus ihrer Frühstückspause zurück. Ein zweites Beispiel ist mir begegnet, als ich Anfang Februar im Schulmusical der 10. Klassen als Backgroundsängerin ausgeholfen habe. Probenstart vor dem Musical war um halb sieben, da um acht offiziell Vorstellungsbeginn war. Ich war natürlich pünktlich 18.30 Uhr in der Aula, allerdings war keine weitere Menschenseele zu sehen. Gegen 18.45 trafen dann die ersten Mitwirkenden ein und 19.05 Uhr ließ sich dann auch der erste Musiklehrer blicken. Eines der Mädchen, welches singen sollte, war den ganzen Tag nicht in der Schule gewesen. Als ich allerdings nachfragte ob sie mal jemand angeschrieben hat um zu wissen ob sie krank ist oder ob sie zum Musical kommen würde, bekam ich nur als Antwort: "Die wird schon kommen.". Vielleicht dramatisiere ich die Dinge ja auch, aber ich persönlich finde es immer wieder überraschend wie andere Leute in so einer Unwissenheit und Hektik leben können.

Ein zweiter Unterschied, der mir besonders auffällt ist der Tagesablauf und das Familienleben der Iren. In meiner Gastfamilie gibt es in manchen Wochen nicht eine Mahlzeit, die alle zusammen einnehmen. Zwar kannte ich das schon von zu Hause, weil mein Tagesablauf in Deutschland, vor allem an den Wochenenden, nicht mit dem meiner eigenen Familie zusammen gepasst hat, da ich eben um acht, und nicht um halb zehn frühstücken wollte. Aber wenn man so lange von seiner Familie getrennt ist, dann merkt man, was man da eigentlich immer am gemeinsamen Esstisch verpasst hat. Der Austausch von Erlebtem oder Plänen für den Tag zum Beispiel. Hier ist das aber überhaupt nicht üblich und eigentlich isst jeder immer wann er will und auf was er gerade Lust hat. In einer anderen Weise kommt mir das gerade recht, da die Iren einen ganz anderen Rhythmus in ihren Mahlzeiten haben, als ich das gewöhnt bin. Sie essen gegen um acht ein sehr kleines oder gar kein Frühstück bestehend aus Zerealien oder Toast. Ein kaltes Sandwich, wenn überhaupt, zur Mittagspause, die gegen halb zwölf bis zwei stattfinden kann und das Abendessen gegen sechs, halb sieben ist dafür viel und warm. Eigentlich von der Portionsgröße her genau das Gegenteil, was bei uns üblich ist. Da ich mein Essen allerdings größtenteils lieber selbst zubereite, habe ich mich auch nicht auf irische Essgewohnheiten umgestellt.

Der letzte, und aktuell zu sehende Unterschied ist, das Wetter und wie die Iren damit umgehen. Also mal ehrlich: Schnee ist für uns ja ganz normal in Deutschland. Es gibt den Räumungsdienst im Winter und fast jeder besitzt Winterreifen. Schnee in Irland ist dem Weltuntergang nahe. Zurzeit wüten Sturm Emma und "the beast from the east" (das Biest aus dem Osten), wie sie es hier liebevoll nennen gemeinsam über den britischen Inseln. Es ist kalt, immer um die -3 Grad (was ja im Vergleich zu den -15 in meiner Heimatstadt eher warm ist) und es fällt Schnee. Die Unwetterwarnungen steigern sich mit jedem Wetterbericht und es gibt eigentlich kein anderes Thema mehr über das man redet, wobei man hier immer zuerst über das Wetter redet. Es ist zu kalt, es ist zu warm, es ist zu nass, es hat drei Tage nicht geregnet, wo ist denn der Regen hin, und so weiter...Allerdings haben wir jetzt schon ziemlich unnormale Ausmaße erreicht. In den Supermärkten gibt es kein Brot mehr zu kaufen, meine Lehrer geben schon im Voraus Zusatzaufgeben, falls die Schule geschlossen bleiben sollte, und viele öffentliche Einrichtungen, darunter auch meine Schule, haben tatsächlich heute und morgen geschlossen um niemanden in Lebensgefahr zu bringen. Das eigentlich Schlimme daran ist, dass ein bisschen Schnee hier tatsächlich gefährlich werden kann, da Irland sehr selten so viel Schnee hat und es demzufolge nicht mal im Ansatz ein Winterdienstsystem gibt. Das heißt, hier werden Wege und Straßen nicht systematisch geräumt, sobald es zu schneien beginnt und keiner besitzt Winterreifen. So kommt das Leben schnell zum erliegen.

Naja, ich genieße jetzt erstmal meine zwei Tage schulfrei. Und dann warten wir alle auf den Frühling...



Man könnte denken es gibt ein verlängertes Wochenende in Deutschland, oder eben Schnee- und Sturmkrise in Irland...



Keep safe and warm out there!







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